Ein geschichtlicher Überblick über die Gerichtsbarkeit in Hattingen

 

Die Geschichte der Stadt Hattingen und damit auch die der Justiz in dieser Stadt ist über 1000 Jahre alt.

Bereits um 990 wird ein Reichshof Hattnegen erstmals in einer Urkunde des Stifts Essen erwähnt. Hattingen war zu der Zeit noch eine Bauernschaft oder Dorfgemeinheit. Recht wurde in einer öffentlichen Gerichtsversammlung, dem Gauding durch Hofesrichter gesprochen. Das Gericht der Frühzeit hat mit unseren heutigen Vorstellungen von Rechtswesen und Rechtspflege wenig gemeinsam. Das Ding bedeutete sowohl Gericht als auch Volksversammlung des Gaus bis zum Hofesverband oder der Sippe. Es gab Gelegenheit, wichtige Handlungen und Beratungen der verschiedensten Art abzuhalten. Der Hof Hattingen musste jährlich nur drei Hofes- oder Dinggerichte abhalten.

Die Dingstätte lag ungefähr dort, wo heute die Straße „Am Gelinde“ ist.

Der Hofesrichter wurde später von einem Erbschultheiß verdrängt. Der erste Hofesschultheißen war Johann Weite zu Clyff  im Jahre 1254.

Dieser war als Richter der Hauptträger der Gerichtssymbolik. Der Amts- und zunächst auch der Wohnsitz des Schultheiß war der Salhof, welcher zwischen der heutigen Bismarckstraße und dem Mühlenwinkel lag.

Im Mai 1350 verlieh Graf Engelbert von der Mark seinem landesherrlichen Fronhof Hattingen „volle Freiheit“ (plena libertas). Ein Vertreter des Landesherrn und gleich-zeitig der Inhaber der richterlichen Gewalt war der Richter (auch Gograf genannt), welcher im Dorf wohnte.

Hattingen war damit Gerichtsstätte des Freistuhls der Grafschaft Bochum – Hattingen.

An die Stelle der „Dingversammlung“ trat das „Bürgergericht“. Recht sprachen jetzt der Schultheiß und sein Burrichter (Gograf). Eine Trennung von Justiz und Verwaltung ging damit jedoch nicht einher. Diese erfolgte erst im 18. Jahrhundert.

Der Gograf war Richter eines Unterbezirks der Grafschaft und dem Grafen untergeordnet. Er richtete sofort im Fall der "handhaften" Tat und wurde entweder von Fall zu Fall oder auf bestimmte Zeit von den Bewohnern des Gerichtsbezirks gewählt. Das Gericht des Gografen, zu dem sich alle Bauern des Gerichtsbezirks versammelten, fand alle sechs Wochen statt.

Am 02.07.1396 erlaubte Graf Dietrich von der Mark der Hattinger Bevölkerung die Errichtung einer Stadtbefestigung. Dieses sogenannte Befestigungsprivileg gilt allgemein als Erhebung Hattingen zur Stadt.

Der Bürgermeister und der Rat von Hattingen erhalten jedoch erst am 24.05.1486 das Recht, eigene Gesetze und Statute zu erlassen.

Es ist anzunehmen, dass im Jahre 1396 auch die Stadt- und Landgerichte entstanden. Für diese Theorie spricht eine (allerdings gefälschte) Urkunde, datiert vom 16.06.1396.

Im Jahre 1576 wurde ein Rathaus, das heutige „Alte Rathaus“ errichtet. Neben dem Rat der Stadt nutze auch das „Bürgergericht“ das Gebäude.

Am 25.11.1667 erhält die Stadt Hattingen das Privileg der Zivilgerichtsbarkeit. Dieses Privileg wurde allerdings durch die Klevische Regierung bereits ab dem 20.02.1677 wieder erheblich eingeschränkt.

Es folgte im Jahre 1728 eine Verwaltungsreform in den Städten der Grafschaft Mark, die zum Königreich Preußen gehörte. Ratswahlen wurden abgeschafft und ein von der Regierung ernannter Justizbürgermeister, welcher beständig im Amt blieb, übernahm die Verwaltung der Stadt.

Von Friedrich Wilhelm wurde als Justizbürgermeister wurde Adolf Rautert ernannt, der nun in das Rathaus der Stadt Hattingen einzog.

Der Justizbürgermeister (Consul dirigens) hatte nicht nur den obersten Rang der Stadtverwaltung inne, sondern er war auch der oberste Stadtrichter.

Im Jahre 1820 ließ dieser in der ehemalige Fleischhalle, die sich im Erdgeschoss des Rathauses befunden hatte, drei Gefängniszellen einbauen. Diese wurden bis 1847, als das neue Gerichts- und Gefängnishaus errichtet wurde, genutzt.

Der kurbrandenburgische Kanzler Samuel v. Cocceji (1679 – 1755) hatte einmal erklärt: „In keiner Provinz wird so über üble Justiz geklagt wie in der Mark. Die Richter ... sind privilegierte Räuber, die die Prozesse in äußerster Konfusion traktieren und die Bürger durch die schweren Prozesskosten bis aufs Blut aussagen.“

Cocceji war ein wichtiger Jurist und einflussreicher Staatsmann in der Zeit Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. und seit 1738 Chef der preußischen Justiz.

Er arbeitete nicht nur an der Modernisierung des aus dem Jahre 1685 stammenden preußischen Landrechts, sondern seit 1738 auch an der Reform der Justiz des gesamten Landes. Samuel v. Coccejis Handeln war dabei auf eine verbesserte Ausbildung des Personals, einheitliche Besoldung der Richter, die Abschaffung prozessualer Missstände und die Beseitigung von konkurrierenden Zuständigkeiten gerichtet.

Mit seinem Namen verbindet sich insbesondere das 1748 geschaffene Tribunal. Mit diesem etablierte sich nicht nur erstmals ein für alle Instanzen verbindlicher höchster Gerichtshof, sondern seine Einrichtung markiert das Ende des Vorrangs der ständischen Ordnung gegenüber dem Willen zur Verwirklichung von Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit besteht nun nicht mehr im Vorhandensein der Ordnung an sich und kann demzufolge nur durch Erhalt der Ordnung gesichert werden, sondern sie muss gegenüber der Person durchgesetzt und gestaltet werden. Cocceji ließ sich auch durch noch so zermürbenden Widerstand nicht von seinem Vorhaben abbringen und wurde dadurch zu einem der maßgeblichen Baumeister Preußens als Rechtsstaat.

Der preußische König und Graf von der Mark Friedrich II. der Große ordnete mit seiner Verordnung vom 03.10.1753 die Gründung von Landgerichten an. Das „Landesherrliche Gericht des Amtes Hattingen – Blankenstein“ wurde aufgelöst. Durch die Vereinigung dieses Gerichtes mit dem Gericht für Bochum wurde das „Landgericht Bochum“ gegründet.

Doch schon 60 Jahre später wird in Hattingen wieder Recht gesprochen.

Nach dem ersten Koalitionskrieg kamen mit den französischen Besatzern der links-rheinischen Gebiete die französischen Friedensgerichte nach Deutschland. In den linksrheinischen Gebieten wurde 1804 auch das französische Gesetzbuch, der „Code Civil“ eingeführt, wodurch die bis dahin miteinander verbundene Verwaltung und Rechtsprechung getrennt und unabhängige Richter installiert wurden.

Etwas später wurden die Friedensgerichte auch im rechtsrheinischen Königreich Westphalen eingeführt.

In Hattingen gab es ein Friedensgericht auf der Ebene der Kantone als unterste Instanz ab dem 01.02.1812.

Adolf Rautert, der ehemalige Justizbürgermeister wird als erster Richter für das Stadt- und Landgericht für den Friedensgerichtsbezirk Kanton Hattingen ernannt.

Auf Betreiben des späteren Oberpräsidenten Ludwig Freiherr von Vincke wird am 24.04.1815 das preußische Stadt- und Landgericht Hattingen errichtet, welches auch für Blankenstein und 30 weitere umliegende Ortschaften zuständig ist.

Dies nahm die Stadt zum Anlass, dem Justizfiskus das Rathaus durch Vertrag vom 26.02.1820 zu schenken. Als das Stadt- und Landgericht Hattingen die Räume im (Alten) Rathaus nicht mehr genutzt hat, wurde das Grundstück vom Justizfiskus an den Rat der Stadt verkauft.

Als dem Stadt- und Landgericht Hattingen die Räume und Gefängniszellen im Rathaus nicht mehr ausreichten, musste am 28.11.1837 als neues Geschäftslokal das Haus Haldenplatz Nr. 6 vor dem ehemaligen Steinhagentor angemietet werden. Die drei Gefängniszellen und ein Verhörraum wurden daneben jedoch weiterhin im Rathaus genutzt.

Da auch das angemietete Gebäude bald zu klein wurde, wurde am 04.07.1843 vom Justizministerium der Neubau eines Gerichtsgebäudes beschlossen.

Hierfür wurde im Jahre 1845 ein ca. 2.656 qm großes Grundstück vor dem Weiltor an der Bahnhofstraße erworben, welches bis zu diesem Zeitpunkt als Gemüsegärten genutzt wurde.

Am 15.08.1847 erfolgte der Einzug der Bediensteten in das neue Gerichts- und Gefängnishaus, ein roter Ziegelsteinbau, in welchem auch 10 Gefängniszellen eingebaut waren.

Die Planung dieses Gerichts- und Gefängnisgebäudes betrug insgesamt 10 Jahre und die Bauzeit drei Jahre.

Die Stadt- und Landgerichte wurden bereits am 01.04.1849 wieder aufgelöst. Hattingen erhielt lediglich eine ständige Deputation (= Abordnung) als Unterabteilung des neu gegründeten Kreisgerichts Bochum, welche in dem Haus an der Bahnhofstraße residierte.

Diese letzte Reform beendete einen wirren Rechtszustand, denn neben den Stadt- und Landgerichten gab es weiterhin landesherrliche Gerichte.

Zuständig war und blieb das Gremium, das zuerst angerufen wurde.

Damit nicht genug gab es auch noch Patrimorialgerichte, denen Bauernschaften unterstanden, die zu alten Grundherrschaften gehörten. Diese grundherrlichen Gerichte hatten sogar die hohe Gerichtsbarkeit über Hals und Haupt.

Doch die politische Entwicklung ließ es auch in den folgenden Jahrzehnten zunächst weiterhin nicht zu, in den deutschen Einzelstaaten einen einheitlichen Gerichtsaufbau zu schaffen. Erst nach der Reichsgründung im Jahre 1871 konnte am 1. Oktober 1879 das Gerichtsverfassungsgesetz in Kraft treten, das unter anderem den Gerichtsaufbau in der ordentlichen Gerichtsbarkeit so vorsah, wie wir ihn auch heute kennen.

Entsprechende Vorbereitungen mussten in den Einzelstaaten getroffen werden, insbesondere waren Amtsgerichte zu errichten. Mit königlich-preußischer Verordnung vom 26. Juli 1878 in der Bekanntmachung vom 19. August 1878 wurde für die preußischen Staaten die Errichtung von 215 Amtsgerichten angeordnet; hierzu gehörte auch das „Amtsgericht Hattingen“, welches zunächst in dem im Dezember 1847 errichteten Gerichtsgebäude Recht sprach.

 

Das Amtsgericht Hattingen

 

Das Amtsgericht Hattingen kann somit auf eine mehr als 130-jährige Geschichte zurückblicken.

Bei seiner Gründung als „Königliches Amtsgericht Hattingen“ war das Gericht für den Stadtbezirk Hattingen, die Ämter Hattingen, Blankenstein und Sprockhövel sowie den Gemeindebezirk Hiddinghausen zuständig.  Im Jahre 1879 hatte das Amtsgericht Hattingen 20 Bedienstete, darunter vier Richter.

Seit der kommunalen Gebietsreform im Jahre 1970 ist das Amtsgericht Hattingen für die Städte Hattingen und Sprockhövel zuständig.

Anfang der 1960er Jahre war das aus dem Jahre 1847 stammende Gerichts- und Gefängnisgebäude für die stetig wachsenden Aufgaben des mittlerweile in Amtsgerichts Hattingen umbenannte Gericht zu klein geworden.

Ein neues Gerichtsgebäude, welches noch heute das Stadtbild von Hattingen prägt, wurde um das alte Gerichtsgebäude herum gebaut und am 17.11.1964 eingeweiht.

Nach Abriss des alten Gerichtsgebäudes wurde die Fläche als Parkplatz genutzt.

An die Stelle des roten Ziegelsteinbaus prägte nun ein gelblicher Klinkerbau das Stadtbild. Anstelle der 10 Gefängniszellen, die das alte Gerichtsgebäude beinhaltet hatte, gibt bzw. gab es in dem neuen Amtsgerichtsgebäude nur noch zwei Vorführzellen und zwei Zellen zur Verbüßung von Freizeitarresten.

Im Sommer 1985 wurden weitere Umbauarbeiten im Amtsgericht Hattingen vorgenommen. Die Sitzungssäle des Amtsgerichts Hattingen wurden renoviert, eine Wand im Strafgerichtssaal (Saal 1) wurde dabei durch den Künstler Bernhard Matthes gestaltet.

Im Jahre 2000 erfolgte die erste, umfangreiche Renovierung des gesamten Gebäudes, die im Januar 2002 abgeschlossen wurde.

Die Klinkerfassade wurde gegen hellen Putz eingetauscht, die Glasbausteine, die Licht in die Flure des Amtsgerichts ließen, wurden durch große Fenster ersetzt, so dass das Gericht eine insgesamt ansprechendere Fassade erhielt.

Der Eingangsbereich, jetzt auch mit Rollstuhlrampe, wurde völlig neu gestaltet und eine moderne Sicherheitsschleuse eingebaut. Aber auch im Inneren des Gebäudes erfolgte eine gründliche Sanierung mit Erneuerung der Fenster,  Türen und Beleuchtung sowie dem Einbau einer behindertengerechten Toilette im Erdgeschoss.

Birgit Baumgart